Der Doppelsuizid - Auszug aus "Wir schreiben "Freitod"

 

Der Doppelsuizid. Nicht alleine ... mit einer Frau zusammen sterben

 

Das bekannteste Paar in der Literatur, das auf den ersten Blick einem einfällt, ist natürlich Heinrich von Kleist zusammen mit Henriette Vogel. Auch wenn sie unheilbar krank war und es als Rechtfertigung für die Tat stand, kann man mit Sicherheit sagen, dass Kleist der Initiator und Anreger des Suizids war. Er plante ihn nicht, um ihr Leiden zu sparen, sondern aufgrund seiner eigenen Frustration. Es scheint fraglich, ob er sie freiwillig in den Tod begleitet hätte, wäre er erfolgreich, eigenständig und nicht mehr ein Bettler gewesen, der immer auf die finanzielle Hilfe der Familie angewiesen war und für sein literarisches Werk nicht den verdienten Ruhm erlangte.

Es ist erstaunlich, beinahe erschreckend. Im Laufe dieser Untersuchung habe ich feststellen können, dass einige der männlichen Sprachschöpfer ihr Todesabenteuer unbedingt mit einer Frau teilen wollten. Sie schafften es nicht allein zu sterben oder wollten es nicht. Und die Frauen mit unglaublicher Fügsamkeit ließen sich leiten, ließen den Mann die gemeinsame Todesstunde planen, Vorbereitungen treffen, so dass, wenn der Mann mit seinen Abschiedsbriefen beschäftigt war, die Frau es ihm gleich tat und ihre Briefe schrieb.

Die Frauen agierten weniger, aber sie gaben ihr Einverständnis dazu und gingen, ihrem romantischen Schicksal ergeben, in den Kompromiss eines Doppelsuizids ein.

Geschah es aus Schwäche? Aus Liebe? Aus Verzweiflung? Man kann schwer den Vergleich mit den indischen Witwen unterdrücken, die auch ihren Männern in den Tod folgen mussten. Eine Ausnahme bildet die amerikanische Science-Fiction-Autorin Alice Bradley Sheldon (mit dem Pseudonym von James Tiptree Jr.), die in diesem Suizidpakt die Initiative ergriff und einen alten Suizidbrief zum Vorschein brachte, den sie schon lange Zeit zu diesem Anlass aufbewahrt hatte. Mit 71 Jahren tötete sie als erstes ihren 84jährigen fast blinden Mann und dann sich selbst.

Auch der Amerikaner Guy Gilpatric begleitete spontan und solidarisch seine Frau Louise in den Tod: 1950, als ihnen angekündigt wurde, dass sie an Krebs litt (was sich später ironischerweise als ein Irrtum, eine Vertauschung der Diagnosen im Krankenhaus, erwies). Der französische Philosoph André Gorz und seine 83jährige, schwerkranke Frau Dorine, der er sein letztes Buch „Briefe an D.“ gewidmet hatte, töteten sich ebenfalls nach 60 Jahren zusammen (am 22. September 2007, weil der Mann ohne sie keinen Lebenssinn mehr sehen konnte).

Sonst waren es immer die Frauen, die sich für den Mann passiv mitopferten und ihm die letzten Bestimmungen überließen. Die bekanntesten Suizidpaare sind folgende:

 

  • Paul Lafargue und seine Frau Laura Marx, die Tochter von Karl Marx (1911).
  • Der japanische Autor Arishima Takeo und seine verheiratete Geliebte Hatano Akiko (1923).
  • Der ungarische Graf János Majláth, der 1855 zusammen mit seiner Tochter Henriette im Starnberger See in München sich ertränkte.
  • Assia Welvill mit der vierjährigen Tochter Shura.
  • Harry Crosby und Josephine Bigelow (1929).
  • Stanislaw Ignacy Witkiewicz aus Polen und seine Geliebte. Sie vergifteten sich zusammen, obwohl die Frau den Versuch überlebte (1939).
  • Stefan Zweig und seine zweite Frau, seine ehemalige Sekretärin Charlotte Zweig, geb. Altmann (1942).
  • Osamu Dazai ertränkte sich mit einer jungen Frau Yamazaki (1948).
  • Alexander Xaver Gwerder aus der Schweiz und seine junge Freundin Salomé Dürrenberger, die es auch überlebte (1952).
  • Arthur Koestler gemeinsam mit seiner dritten Ehefrau Cynthia tötete sich durch eine Überdosis an Barbituraten (1983)...

 

Dieser letztere Fall sorgte für viel Aufsehen zur damaligen Zeit... Es wurde von vielen argumentiert, dass Cynthia vielleicht unter manipulativem, psychischem Zwang ihre sogenannte „Entscheidung“, ihm zu folgen, gefällt hatte. Er sei zwar sehr krank, aber Cynthia, 22 Jahre jünger als er, sei vollkommen gesund.

Im Grunde ist es ein ähnlich gelagerter Fall wie der von Lotte Zweig, über die viel zu wenig geschrieben worden ist, denn der Suizid des Mannes beanspruchte vorrangig die Aufmerksamkeit der Gelehrten. Waren ihr Asthma und ihre Depression Grund genug, um unter der Anleitung ihres Mannes aus dem Leben zu scheiden? Er war die treibende Kraft für diesen letzten Akt...

 

  • Auch die Baroness Mary Vetsera starb zusammen mit dem Kronprinzen Rudolf von Österreich-Ungarn (1889), als sie 17 Jahre alt war.

 

 

Aus: "Wir schreiben "Freitod" - Schriftstellersuizide aus vier Jahrhunderten", Frankfurt am Main, 2010

Verlag: Peter Lang