Gedanken eines Blinden beim Anfassen eines Kugelschreibers
Etwas Stechendes,
das schreibt.
Sticht aber nicht,
berührt nur das Papier
und zittert,
geht lange Wege entlang,
und dann erhebt sich,
sanft und träumerisch,
in der Luft,
wo nichts mehr geschrieben wird
bis zur nächsten Berührung
mit der heiligen Fläche des Papiers,
das alles abbildet.
Stumm und bedeutungsarm für mich
und doch rätselhaft, faszinierend
wie Insektenstiche
auf meiner Haut,
wie Fliegen, die
man nicht fangen kann:
Buchstaben, die man nicht
fühlen kann mit Händen.
Nach einem entschiedenen Klick,
wie das Summen der Fliegen,
bewegt sich die Spitze
majestätisch und schreibt:
meinen Namen, Deinen Namen
und die der Freunde in der Ferne.
Ich muss glauben, dass es stimmt,
dass der beschriftete Zettel
unsere Namen spricht.
Dieser längliche Gegenstand,
aus so vielen Teilen bestehend,
so kompliziert und jedoch so klein
etwas dünner am Anfang und am Ende
und dicker in der Mitte
mit einem Halter an der Seite,
in der Mitte nicht ganz glatt,
wie zweigeteilt durch einen Streifen
und in der Größe sehr unterschiedlich,
wie die Gedanken der Schreibenden.
Für die Hand gemacht
und doch das Ergebnis nur für die Augen.
Er hat die lebenslängliche Würde
einer Fremdsprache für mich!
Bewegung, Tinte und Energie.
Das Phänomen begreife ich,
und wenn man auf den obersten Teil
dieses Gegenstandes drückt,
und wenn die Spitze das Papier erreicht,
dann, dann geschieht es,
dann fliegen die Fliegen,
und du verwandelst dich in einen Menschen,
der etwas mitteilt.
Ich liebe
das lautlose Schreiben
der Sehenden.
Aus: „Im Namen der Windrose“ Köln, 1998