Ich verstehe die Sprache der Deutschen, meiner Landsleute

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Den vorliegenden autobiographischen Aufsatz schrieb ich 1988, als ich bereits 13 Jahre in Deutschland gelebt hatte.

 

"Der erste Schritt des Eingebürgerten, neugeborenen Deutschen, heißt, Verstehen und sich Mühe geben, von den anderen verstanden zu werden.

Verstehen bedeutet für mich viel: Veränderung, Belebung durch den Kontakt mit anderen und die erfahrene Klarheit über sie, nicht nur äußere sondern innere Wahrnehmung einer Mitteilung, Überwindung jeder Form von Abstand zwischen mir und dem Verstandenen, denn Annäherung scheint mir das schönste und lohnendste Ziel zu sein.

Vielleicht übertreibe ich in meinem Verständnis von dem Vorgang des Verstehens, und das trennt mich von den Einheimischen, den Deutschen, die eher sachlich und emotionslos Inhalte nur aufnehmen und mein bewunderndes, sehr betroffenes Verstehen nicht teilen können. Ich verliebe mich in das, was ich begreife, umarme die Worte, die mich vervollständigen. Beim Empfang jeder Äußerung streichle ich das, was ich verstehe, mich selbst und den anderen. Was ich begreife, bleibt mir nicht fremd, deshalb ist mir dieses Land nicht fremd geblieben.

Was nützt ein kaltes Verstehen? Es sollte viel mehr als das stattfinden. Die bloße, exakte Wiedergabe des Gesagten scheint mir unzureichend, ein Armutszeugnis der menschlichen Kommunikation. Und doch werde ich meistens nur so von den Deutschen verstanden, für meine Begriffe missverstanden, nicht verstanden.

Alles klingt nach abgedroschenen Klischees, wenn man über Nationalitäten spricht. Man redet von der Überschwänglichkeit der Südländer und der Verschlossenheit anderer Völker, und doch erweist

es sich als wirkliche Erfahrung.

Ich merke es, wenn ich manchmal in Versuchung gerate, - wie es in Spanien üblich ist - jemanden mit Du anzusprechen und seine Wange mit meiner in diesem kontaktfreudigen Kuss der lateinischen Völker zu berühren, spielerisch, wenig ernst, aber auch freundschaftsverkündend. Dann bremse ich meine sprachliche Impulsivität, spreche ein "Sie" aus... und nicht einmal die Hand traue ich mir, dem Fremden, dem Deutschen entgegen zu strecken.

Aus der Ferne – denn er hat sich sehr weit weg von mir hingesetzt - muss ich diesen geliebten Deutschen verstehen. Und ich verstehe ihn... liebe ihn auch, trotz unterdrückter Umarmung, deshalb muss ich versuchen, ihn nicht mit meiner Nähe zu belästigen und nicht in seine Gefühlswelt zu plötzlich einzudringen. Hängen seine Hemmungen gegen die Du-Anrede mit seiner Abscheu gegen zu persönliche Themen zusammen? Versucht er durch Überlegenheit und Distanz seinen Minderwertigkeitskomplex zu vertuschen? Auf jeden Fall gehört es zum echten Verstehen, dass man einen großen Respekt vor einer andersartigen Mentalität hat. Ich darf nicht gekränkt sein. Ich muss auch das verstehen, was nie explizit zwischen uns zur Sprache kommen wird. Das Deutsche ist kein Rätsel mehr für mich; einheimisch bin ich geworden, eingebettet in mein Verstehen der sprachlichen und außersprachlichen Zeichen meiner Landsleute.

 

 

Aus: "Wegziehen – Ankommen", Bad Honnef, 2002

Verlag: Horlemann Verlag