Brückengesang
Der Glaube als Brücke zu Gott,
Mutterschaft, die Brücke zu den Kindern.
Gestickt, angenäht, gestrickt.
Das Nähen wie das Schreiben verbindet,
Buchstaben auf Papier, Stoffteile
mit anderen Stoffteilen zusammenbringen.
Das Gedächtnis verbindet die Erinnerungen.
Liebe und Phantasie sind die besten Brücken,
damit wir uns vor dem Nichts schützen.
Sie rettet mich vor dem Hinabsinken und Fallen
in plötzliches, bedrohliches, schmutziges Wasser.
Ich spaziere und fliege immer die Brücke entlang,
bleibe verschont, erleichtert, unerschrocken.
Die siebenjährige Eurythmie meiner jetzigen Schritte
streichelt die Brücke bis zu Dir, bis zu mir selbst,
bis zur Erkenntnis, dass wir
dazu fähig sind, zusammen zu leben.
Diese riesigen, tausendkilometerlangen
ozeanischen Strecken bis zum unerreichbaren,
distanzierten, unerfahrbaren Ufer
machen mich krank.
Bis zu Dir zu gelangen
wäre so aussichtslos gewesen
wie ohne Waffen und Tiere zu jagen,
hätten wir nicht diese Abkürzung
und diese gemeinsamen Buchstaben für uns gefunden.
Wie Geschwister oder Eheleute,
tragen wir den gleichen Namen.
In allen Sprachen übersetzbar,
gebaut, zerstört, wiederaufgebaut,
die Brücke der Sprache trägt uns über Zeit und Raum,
Du und ich übertragbar,
in eine Fremdsprache, in viele alte und neue Sprachen,
auch in Stille, stumme, nachdenkliche
Sprachen ohne Laut.
Übersetzen ist ein seelisches Nähen und Zusammenfügen
von losen Teilen. Ich übersetze deinen Atem
und spüre ihn in meinem eigenen.
Die fünf Knöpfe meines Mantels,
beobachten mich, uns,
äußerlich unverbunden
und doch für immer aneinander angekettet.
Vor lauter Brücken sehe ich keine
Trennungen mehr in der Welt.